Finkenzeller

Warnblinklicht allein ist keine unklare Verkehrslage

Verkehrsrecht
23.11.2021

Die unklare Verkehrslage wird schnell zu Lasten eines Überholers aus der Schublade geholt, aber, wie die Entscheidung zeigt, oft zu Unrecht.

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OLG Jena, Urteil vom 18.05.2017, Az. 1 U 622/16

Leitsätze

1. Steuert der Fahrer eines Lkw diesen an den rechten Fahrbahnrand und schaltet dann das Warnblinklicht ein, darf der nachfolgende Verkehr dies in der Weise verstehen, dass das Fahrzeug vorerst nicht mehr bewegt werde.

2. Das gesetzte Warnblinklicht führt in dieser Situation nicht zu einer unklaren Verkehrslage für den potentiellen Überholer.

Kanzleiauto

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 26. Juli 2016 - Az. (279) 2 O 667/15 aufgehoben.

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 1.316,95 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen und die Klägerin von einer Gebührenforderung des Rechtsanwalts A. in Höhe von 157,80 € freizustellen.

Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Haftung der Beklagten aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich mit einem von dem Beklagten zu 2) gesteuerten und bei der Beklagten zu 1) versicherten Lastkraftwagen am 21. Mai 2015 gegen 8 Uhr in E. ereignete.

Der Beklagte 2) und die ihm mit ihrem Pkw folgende Klägerin befuhren die K.-M.-S. in Richtung B. S.. Der Beklagte zu 2) hielt am rechten Fahrbahnrand an und schaltete das Warnblinklicht ein. Die Klägerin kam hinter ihm zum Stehen und setzte dann zu einem Überholmanöver an, als der Beklagte zu 2) begann, den Lkw rückwärts zu steuern, um das Abbiegen in die in Fahrtrichtung auf linker Seite einmündende G-Straße zu erleichtern. Es kam zur Kollision beider Fahrzeuge, durch die der Pkw der Klägerin beschädigt wurde.

Nachdem die Klägerin Klage gegen die Beklagte zu 1) zum Landgericht Meiningen eingereicht hatte, zahlte die Beklagte zu 1) noch vor Zustellung der Klage neben Rechtsanwaltsgebühren zunächst 3.675,41 €, dann 245,44 € an die Klägerin. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 19. Januar 2016 hat die Klägerin ihre Klage im Einverständnis mit den Beklagten in Höhe von 3.675,41 € zurückgenommen. In Höhe von 245,44 € haben die Parteien den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Mit Schriftsatz vom 12. Februar 2016, zugestellt am 19. Februar 2016, hat die Klägerin ihre Klage erweitert und auch gegen den Beklagten zu 2) gerichtet.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagten hätten den an ihrem Fahrzeug entstandenen Schaden nicht nur in dem schon regulierten Maße, sondern in vollem Umfang zu tragen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an die Klägerin 1.316,95 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu bezahlen und die Klägerin von einer Gebührenforderung des Rechtsanwalts A. in Höhe von 157,80 € freizustellen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten sind der Ansicht, ihre Einstandspflicht gehe nicht über eine Quote von 75 % hinaus, zu der sie den Schaden der Klägerin bereits ausgeglichen haben.

Das Landgericht hat Beweis erhoben, indem es als Zeugen die Polizeibeamten S. und K. sowie den Zeugen M., den Lebensgefährten der Klägerin, vernommen hat.

Es hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe nicht den ihr obliegenden Nachweis erbracht, dass der Unfall für sie unabwendbar war.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Antrag weiter.

Die Klägerin beantragt nun,

das Urteil des Landgerichts Meiningen abzuändern und die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an die Klägerin 1.316,95 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu bezahlen und die Klägerin von einer Gebührenforderung des Rechtsanwalts A. in Höhe von 157,80 € freizustellen.

Die Beklagten beantragen,

Zurückweisung der Berufung.

Der Senat hat seine Rechtsauffassung durch Hinweisbeschluss vom 31. Januar 2017 dargelegt und den Beklagten geraten, die Forderung der Klägerin anzuerkennen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf das angefochtene Urteil, auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 27. April 2017 sowie auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Landgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Ersatz des gesamten durch den Unfall erlittenen Schadens aus §§ 17 Abs. 1, 2, 18 Abs. 3 StVG, 1 ff. PflVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, 249, 421 BGB zu.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann dahinstehen, ob der Unfall für die Klägerin unabwendbar und ihre Haftung daher gemäß § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen war. Die Klägerin muss sich im Gegensatz zum Beklagten zu 2) jedenfalls nicht den Vorwurf gefallen lassen, einen schuldhaften Pflichtverstoß begangen zu haben; und die Betriebsgefahr des von der Klägerin gesteuerten Fahrzeugs hat deshalb außer Betracht zu bleiben, weil das Verschulden des Beklagten zu 2) und die Betriebsgefahr des von ihm gesteuerten Lkw so weit überwiegen, dass die Bildung einer Haftungsquote unangemessen wäre.

1. Die Klägerin braucht sich entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht vorhalten zu lassen, gegen das Überholverbot gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO verstoßen zu haben. Aus ihrer Sicht lag keine unklare Verkehrslage vor. Ein solche ist nur dann gegeben, wenn der Überholende nach den Umständen nicht mit einem ungefährlichen Überholvorgang rechnen darf, wenn also die Verkehrslage unübersichtlich und ihre Entwicklung nach objektiven Umständen nicht zu beurteilen ist (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, StVR, § 5 StVO Rn. 26 m. w. N.). Hiervon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein:

Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich aus dem Umstand, dass die Klägerin angehalten hat, nicht ableiten, dass sie selbst eine Gefahrensituation geahnt hätte. Die Klägerin musste schlicht deshalb anhalten, weil der von dem Beklagten zu 2) gesteuerte Lkw zum Stehen gekommen war. Als Alternative wäre nur ein in laufender Fahrt gestartetes Überholmanöver in Betracht gekommen. Dass die Klägerin von einem solchen Manöver absah und erst einmal anhielt, kann ihr schwerlich zum Nachteil gereichen.

Der Beklagte zu 2) hat durch Einschalten des Warnblinklichts dem nachfolgenden Verkehr signalisiert, dass sein Fahrzeug stehenbleiben werde. Zwar mag das Warnblinklicht zuweilen von Spezialfahrzeugen wie etwa Mülltransportern in Kombination mit Warngeräuschen auch verwendet werden, wenn diese zurücksetzen. Steuert der Fahrer eines gewöhnlichen Lkw diesen wie im vorliegenden Fall nach den für den Senat nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindenden Feststellungen des Landgerichts an den rechten Fahrbahnrand und schaltet dann das Warnblinklicht ein, kann der nachfolgende Verkehr dies aber nur in der Weise verstehen, dass das Fahrzeug vorerst nicht mehr bewegt werde.

Diese Deutung lässt sich auch auf die Bestimmungen der StVO zur Verwendung des Warnblinklichts stützen: Die Verwendung des Warnblinklichts ist, sofern es sich nicht um einen Omnibus (§ 16 Abs. 2 S. 1 StVO) oder ein abgeschlepptes Fahrzeug (§ 15a Abs. 3 StVO) handelt, nach § 15 S. 1 StVO beim Liegenbleiben eines Fahrzeugs und gemäß § 16 Abs. 2 S. 2 StVO dann erlaubt, wenn jemand durch sein Fahrzeug andere gefährdet oder vor Gefahren warnen will. Hierzu gehört der dem Liegenbleiben vergleichbare Stillstand eines Fahrzeugs. Nicht erfasst sind dagegen eine bevorstehende Wiederaufnahme der Fahrt, die gemäß § 10 Abs. 2 StVO durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen ist, oder gar eine Rückwärtsfahrt, die durch Einlegen des Rückwärtsgangs und die damit verbundene Aktivierung der entsprechenden Leuchte angezeigt wird und nicht durch Warnblinkzeichen zu begleiten ist.

Die Klägerin durfte dem eingeschalteten Warnblinklicht daher entnehmen, dass der von dem Beklagten zu 2) gesteuerte Lkw an seinem Platz verbleiben werde, und konnte von einem ungefährlichen Überholvorgang ausgehen.

2. Die ohnehin deutlich höhere Betriebsgefahr, die von dem Lkw ausging, wurde zum einen dadurch gesteigert, dass der Beklagte zu 2) ihn rückwärts steuerte, wodurch sein Gefährdungspotential massiv erhöht wurde. Zum anderen kommt hinzu, dass sich der Beklagte zu 2) einen schuldhaften Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO vorhalten lassen muss. Hiernach hat derjenige, der ein Fahrzeug rückwärts führt, sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer in jeder Hinsicht ausgeschlossen ist. Der Beklagte zu 2) hat dieses Gebot nicht erst durch die mangelnde Beachtung des klägerischen Fahrzeugs, sondern schon vorher durch die irreleitende Verwendung des Warnblinklichts verletzt.

Das Verschulden des Beklagten zu 2) und die beträchtliche Betriebsgefahr des von ihm gesteuerten Fahrzeugs überwiegen die Beteiligung der Klägerin an dem Unfall derart, dass eine quotale Verteilung des Schadens nicht in Betracht kommt. Die Beklagten haben den der Klägerin entstandenen Schaden in voller Höhe zu ersetzen.

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 3, 91a Abs. 1 S. 1, § 100 Abs. 4 ZPO. Die Beklagten haben die gesamten Kosten des Rechtsstreits trotz der teilweisen Rücknahme der Klage wegen der zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit zu tragen. Denn ist der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und wird die Klage daraufhin zurückgenommen, so bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen; dies gilt auch, wenn die Klage nicht zugestellt wurde, § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO. Da die Beklagten ohne die Teilbegleichung auch in dieser Höhe unterlegen wären, entspricht es billigem Ermessen, ihnen die Kostentragung auch insoweit aufzuerlegen.

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709 Nr. 10, 713 ZPO.

3. Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO vorliegt.

Zusammenfassung:
Der gesetzte Warnblinker an einem Lkw führt für sich allein nicht dazu, dass eine unklare Verkehrslage besteht
Rechtsgebiete:
Verkehrsrecht
Stichworte:
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