Finkenzeller

Betriebsgefahr bei Parkplatzunfall

Verkehrsrecht
30.12.2021
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LG Hamburg, Beschluss vom 01.02.2017, Az. 302 S 16/16

Leitsätze

1. Auch wenn es im normalen Straßenverkehr häufig Fälle gibt, in denen bei einem besonders schweren Verkehrsverstoß der schuldige Kraftfahrer dem Unfallgegner, von dessen Wagen lediglich die einfache Betriebsgefahr ausgegangen ist, dessen Schaden im vollen Umfang zu ersetzen hat, so kann dies auf Parkplätzen regelmäßig nicht gelten.*

Unfallflucht

Tenor

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg vom 12.02.2016, Aktenzeichen 920 C 442/14, teilweise Aussicht auf Erfolg hat.

Die Parteien können hierzu binnen zwei Wochen Stellung nehmen.

Gründe

Die Beklagte wendet sich mit der von ihr eingelegten Berufung gegen die Beweiswürdigung des Amtsgerichts. Sie meint, der Unfall sei unaufklärbar und das Amtsgericht habe, nachdem die Beklagte bereits vorgerichtlich die Hälfte des nachgewiesenen und erstattungsfähigen Schadens reguliert hatte, zu Unrecht der Klage nach Durchführung der Beweisaufnahme stattgegeben.

Die Berufung der Beklagten hat teilweise Aussicht auf Erfolg. Das Amtsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung einen der Beklagten zurechenbaren Verkehrsverstoß angenommen. Angesichts des Umstands, dass sich der Verkehrsunfall auf einem Parkplatz ereignet hat, tritt jedoch die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs demgegenüber nicht vollständig zurück, sondern führt zu einer Mithaftung des Klägers in Höhe von 20%.

Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtig- und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Derartige Zweifel liegen hier bezüglich der Annahme eines Verkehrsverstoßes der Beklagtenseite nicht vor. Die Beweiswürdigung ist frei von berufungsrechtlich relevanten Beanstandungen; es ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der festgestellten Tatsachengrundlage.

Der Kläger trägt die Beweislast hinsichtlich der von ihm behaupteten Unfallversion. Nach § 286 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob es eine tatsächliche Behauptung für erwiesen erachtet oder nicht. Der Beweis ist erst dann erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme und der sonstigen Wahrnehmungen in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist und alle vernünftigen Zweifel ausgeräumt sind.

Das Amtsgericht hat durch die Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, dass der Unfall sich wie von dem Kläger beschrieben ereignet hat. Das Amtsgericht hat den Kläger als unfallbeteiligten Fahrer angehört sowie den Fahrer des beklagten Fahrzeugs, den Zeugen F. S., und dessen Beifahrer, den Zeugen P. S. vernommen. Darüber hinaus hat es ein Sachverständigengutachten zu der Frage der technischen Möglichkeit und Plausibilität der unterschiedlichen Unfallversionen eingeholt. Entgegen dem Vorbringen in der Berufungsbegründung hat das Amtsgericht seine Entscheidung auch auf die Angaben der Unfallbeteiligten und nicht nur auf das Sachverständigengutachten gestützt. Es hat ausgeführt, dass die Angaben der Unfallbeteiligten allein nicht für eine Überzeugungsbildung zugunsten des Klägers ausreichen, jedoch in der Zusammenschau mit den Ergebnissen des eingeholten Sachverständigengutachtens erhebliche Plausibilitätsgesichtspunkte für die Unfallschilderung des Klägers sprechen. Die widersprüchlichen Angaben der Zeugen S. auf der einen Seite und die Angaben des Sachverständigen, wonach es sich in der Unfallversion der Beklagten um ein ungewöhnliches Fahrmanöver des Klägers gehandelt haben müsste, haben zur Überzeugungsbildung des erstinstanzlichen Gerichts für einen Verkehrsverstoß des Fahrers des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs ausgereicht. Dies ist nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht hat bei seiner Würdigung erkennbar die Angaben der Fahrzeuginsassen und das Sachverständigengutachten einbezogen. Die protokollierten Aussagen der Beweisaufnahme sowie das Ergebnis des eingeholten Sachverständigengutachtens stehen vorliegend nicht im Widerspruch zu dem Beweisergebnis und den Urteilsgründen. Das Amtsgericht hat sich zudem einen persönlichen Eindruck verschafft, den es bei der Beweiswürdigung berücksichtigen konnte.

Darüber hinaus hat das Amtsgericht die Anforderungen an den Anscheinsbeweis gegen einen Rückwärtsfahrer nicht zu niedrig angesetzt. Abweichend von dem Sachverhalt des in der Berufungsbegründung angeführten Urteils des Bundesgerichtshofs (Az: VI ZR 6/15) hat das Amtsgericht vorliegend nach der Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, dass das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug tatsächlich rückwärts gefahren ist. Für einen solchen Fall führt der Bundesgerichtshof in dem genannten Urteil vom 15.12.2015 ausdrücklich aus, dass die Anwendung des Anscheinsbeweises gegen den Rückwärtsfahrenden auf einem Parkplatz nicht zu beanstanden ist, wenn feststeht, dass die Kollision beim Rückwärtsfahren des Verkehrsteilnehmers stattgefunden hat (zitiert nach juris, Rn. 15). Das war hier nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme der Fall.

Unter Berücksichtigung aller Umstände, die zu dem Unfall geführt haben, hat die Beklagte dem Kläger jedoch nur 80 % seines unfallbedingten Schadens zu ersetzen. Zwar hat der Zeuge S. wie ausgeführt einen schweren Fahrfehler begangen. Die von dem klägerischen Fahrzeug ausgegangene einfache Betriebsgefahr darf aber im Hinblick auf die konkrete Unfallsituation nicht unberücksichtigt bleiben und tritt nicht vollständig zurück. Auch wenn es im normalen Straßenverkehr häufig Fälle gibt, in denen bei einem besonders schweren Verkehrsverstoß der schuldige Kraftfahrer dem Unfallgegner, von dessen Wagen lediglich die einfache Betriebsgefahr ausgegangen ist, dessen Schaden im vollen Umfang zu ersetzen hat, so kann dies auf Parkplätzen regelmäßig nicht gelten. Ein besonderer Schutz kommt nur dem fließenden Verkehr zu, nicht aber dem Verkehr auf einem Parkplatzgelände. Anders als im fließenden Straßenverkehr, wo jeder Kraftfahrer, der sich seinerseits an die Verkehrsregeln hält, auf die Einhaltung der Verkehrsregeln auch durch andere Verkehrsteilnehmer vertrauen darf, ist auf Parkplätzen – wo es einen derartigen Verkehr nicht gibt – stets besondere Rücksichtnahme und Vorsicht geboten. Die für den fließenden Verkehr geltenden Erwägungen greifen für den auf einem Parkplatzgelände herrschenden ruhenden Verkehr nicht. Dies gilt entgegen den Ausführungen des Amtsgerichts bei einer Rückwärtsfahrt auch dann, wenn markierte Fahrstreifen von den Parkplätzen erkennbar baulich abgetrennt sind, da es ungeachtet dessen keinen Vertrauensgrundsatz gibt. Auf Parkplätzen wird typischerweise aus Parklücken auf den Fahrstreifen herausgefahren bzw. rangiert. Dies erfordert besondere Rücksichtnahme, mit Fehlern anderer Verkehrsteilnehmer ist zu rechnen.

Im Hinblick auf die obigen Ausführungen rät das Gericht den Parteien zu einer gütlichen Einigung und schlägt den nachfolgenden Vergleich gemäß § 278 Abs. 6 ZPO vor:

[Vergleichsvorschlag]

Zusammenfassung:
Die einfache Betriebsgefahr eines Pkw tritt bei einem Parkplatzunfall nicht zurück.
Rechtsgebiete:
Verkehrsrecht
Stichworte:
Gericht:
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