1. Ist ein Wohnraummietvertrag im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems geschlossen worden und hat der Vermieter den Mieter nicht über dessen Widerrufsrecht belehrt, hat der Vermieter dem Mieter im Falle des wirksamen Widerrufs durch den Mieter jedenfalls sämtliche bis dahin geleistete Mietzahlungen einschließlich der erbrachten Nebenkostenvorauszahlungen zurückzugewähren, ohne dass der Mieter dem Vermieter Nutzungs- oder Wertersatz für die Ingebrauchnahme der Mietsache schuldet.
2. Der Mieter ist als Ergebnis seines Widerspruchs befugt, die Mietsache - abhängig vom Zeitpunkt seines Widerspruchs - bis zu 13 Monate kostenfrei zu nutzen.
Auf die Berufung des Klägers wird das am 3. Juni 2021 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mitte - 3 C 74/20 - teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1,74 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29. Mai 2020 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.363,35 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. Mai 2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits ersten Instanz werden gegeneinander aufgehoben; die Kosten des Rechtsstreits zweiten Instanz hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen; im Übrigen wird sie nicht zugelassen.
I.
Die Parteien streiten um wechselseitige Ansprüche aus einem von dem klagenden Mieter widerrufenen Wohnraummietvertrag. Der Kläger verlangt die Erstattung sämtlicher bis zum Monat des Widerrufs geleisteter Mieten; die Beklagte hat zunächst widerklagend die Räumung der Mietsache beansprucht; in der Folge haben die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich der widerklagend verfolgten Ansprüche noch im ersten Rechtszug übereinstimmend für erledigt erklärt.
Das Amtsgericht hat die Klage ganz überwiegend abgewiesen und die Beklagte unter Berücksichtigung einer Aufrechnung wegen minderungsbedingter Überzahlungen zu einer Zahlung von 1,74 EUR nebst anteiliger Zinsen verurteilt. Die übrigen Zahlungsansprüche hat es verneint, da der Mietvertrag zwar wirksam widerrufen worden sei, die von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten Gegenansprüche wegen Wert- und Nutzungsersatzes aber auch ohne ausdrückliche widerrufsrechtliche Regelung begründet seien. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf das Urteil des Amtsgerichts Bezug genommen (Bl. 110-118 d.A.).
Gegen das ihm am 16. Juni 2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24. Juni 2021 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung mit am 16. September 2021 eingegangenem Schriftsatz begründet.
Der Kläger rügt, das Amtsgericht hätte der Beklagte zu Unrecht aufrechenbare Ansprüche auf Wertersatz bis zur Ausübung des Widerrufsrechts zuerkannt. Diese seien jedenfalls dann gesetzlich ausgeschlossen, wenn der Mieter - so wie hier - nicht auf sein Widerrufsrecht hingewiesen worden sei.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze beider Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist ganz überwiegend begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Rückzahlung der im Zeitraum 1. Februar 2019 bis einschließlich zum 16. Januar 2020 gezahlten Mieten gemäß §§ 312 Abs. 4, Abs. 3 Nr. 7 i.V.m. 312g BGB 355 Abs. 1, Abs. 3, 357 Abs. 8, 361 BGB zu.
Gemäß § 355 Abs. 3 BGB sind die empfangenen Leistungen im Falle des wirksamen Widerrufs eines Vertragsverhältnisses unverzüglich zurückzugewähren. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger hat das mit der Beklagten geschlossene Mietverhältnis wirksam widerrufen und kann deshalb die im genannten Zeitraum geleisteten Mietzahlungen zurückverlangen.
Für zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer geschlossene Wohnraummietverträge ist das Widerrufsrecht gemäß § 312 Abs. 4, Abs. 3 Nr. 7 i.V.m § 312g BGB eröffnet, es sei denn, der Mieter hat die Mietsache vor Vertragsschluss besichtigt, § 312 Abs. 4 Satz 2 BGB. Auf den Ausschlusstatbestand des § 312 Abs. 4 Satz 2 BGB kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen, da der Kläger die Mietsache vor dem am 6. Januar/17. Januar 2019 erfolgten Vertragsschluss unstreitig nicht besichtigt hat.
Die persönlichen und situativen Voraussetzungen der §§ 312 Abs. 1, 310 Abs. 3, 312g, 312c Abs. 1, 2 BGB zur wirksamen Ausübung des Widerrufsrechts sind ebenfalls erfüllt. Der Kläger ist Verbraucher i.S.d § 13 BGB, während es sich bei der beklagten Vermieterin um eine Unternehmerin i.S.d § 14 BGB handelt.
Der zu beurteilende Mietvertrag stellt einen gemäß §§ 312 Abs. 1, 310 Abs. 3, 312g, 312c Abs. 1, Abs, 2 BGB widerruflichen Fernabsatzvertrag dar. Gemäß § 312c Abs. 1 BGB sind Fernabsatzverträge solche Verträge, bei denen der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. Dabei sind Fernkommunikationsmittel im Sinne des § 312c Abs. 1 BGB ausweislich § 312c Abs. 2 BGB alle Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrags eingesetzt werden können, ohne dass die Vertragsparteien gleichzeitig körperlich anwesend sind, wie Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails, über den Mobilfunkdienst versendete Nachrichten (SMS) sowie Rundfunk und Telemedien. Die genannten tatbestandlichen Voraussetzungen sind allesamt erfüllt, da die Parteien für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich über E-Mails miteinander kommuniziert haben.
Steht - wie hier - fest, dass der Unternehmer sowohl für die Vertragsverhandlungen als auch für den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet hat, wird nach der gesetzlichen Regelung in § 312c Abs. 1 BGB widerleglich vermutet, dass der Vertrag im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abgeschlossen worden ist. Es obliegt daher dem Unternehmer, in derartigen Fällen darzulegen und zu beweisen, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist (st. Rspr., vgl. Nur BGH, Urt. v. 19. November 2020 − IX ZR 133/19, NJW 2021, 304, beckonline Tz. 12). Gemessen daran ist vom Vertragsschluss innerhalb eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems der Beklagten auszugehen, da Gegenteiliges von ihr als insoweit darlegungs- und beweisbelasteter Partei nicht dargetan worden oder es sonstwie ersichtlich ist.
Der Kläger hat seinen weniger als ein Jahr nach dem am 6. Januar/17. Januar 2019 erfolgten Vertragsschluss am 2. Januar 2020 ausgesprochenen Widerruf rechtzeitig erklärt. Das Widerrufsrecht des Klägers ist gemäß § 356 Abs. 3 Satz 2 BGB erst zwölf Monate und 14 Tage nach Vertragsschluss erloschen. Die kurze Widerrufsfrist des § 555 Abs. 2 BGB ist nicht in Gang gesetzt worden ist, da es die Beklagte verabsäumt hat, den Kläger über sein Widerrufsrecht den Anforderungen der Art. 246a § 1 EGBGB oder Art. 246b § 2 EGBGB entsprechend zu unterrichten, § 356 Abs. 3 Satz 1 BGB. Auch die Erlöschentatbestände des § 356 Abs. 4 und 5 BGB sind nicht erfüllt, da beide vorausgesetzt hätten, dass der Verbraucher zuvor über den Verlust seines Widerrufsrechts bei teilweiser oder vollständiger Vertragserfüllung durch den Unternehmer in Kenntnis gesetzt wird. Auch daran fehlte es.
Der Kläger hat sein Widerrufsrecht auch nicht rechtsmissbräuchlich ausgeübt, indem er den Widerruf treuwidrig spät erklärt hätte. Zwar kann die Ausübung eines Widerrufsrechts im Einzelfall ausnahmsweise eine unzulässige Rechtsausübung darstellen (vgl. BGH, Urt. v. 12. Juli 2016- XI ZR 564/15, NJW 2016, 3512, beckonline Tz. 32 ff.). Diese Ausnahmevoraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt, da es dafür erforderlich gewesen wäre, dass der Kläger bereits erhebliche Zeit vor Ausübung seines Widerrufs Kenntnis davon gehabt hätte, zum Widerruf berechtigt zu sein. Das aber hätte jedenfalls eine Widerrufsbelehrung durch die Beklagte oder eine vergleichbare Kenntnisverschaffung vorausgesetzt, an denen es hier gerade fehlte.
Durch den wirksamen Widerruf des Klägers hat sich der zwischen den Parteien geschlossene Mietvertrag ex-nunc gem. § 355 Abs. 3 Satz 1 BGB in ein Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt; danach hatten die Parteien die empfangenen Leistungen - die gezahlte Miete einschließlich Nebenkostenvorauszahlungen und gegebenenfalls eine Kaution einerseits und der eingeräumte Besitz an der Wohnung andererseits - gemäß § 355 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 357 Abs. 1 BGB spätestens nach 14 Tagen zurückzugewähren. Ihrer Pflicht zur Rückgewähr der empfangenen Mieten einschließlich der vom Kläger geleisteten Nebenkostenvorauszahlungen ist die Beklagte bis heute nicht nachgekommen.
Dem Rückgewähranspruch des Klägers steht der vom Amtsgericht zuerkannte Anspruch der Beklagten auf Wertersatz für die Nutzung der Wohnung nicht entgegen. Die Berufung rügt im Ergebnis zu Recht, dass sich ein Anspruch auf Wertersatz für den Unternehmer allein aus § 357 Abs. 8 Satz 1 BGB ergeben kann, wenn zu dem dort erwähnten 'Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen' auch Mietverträge zählten. Allerdings schuldet der Verbraucher dem Unternehmer Wertersatz allenfalls dann, wenn er vom Unternehmer ausdrücklich verlangt hat, dass dieser mit der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt (§ 357 Abs. 8 Satz 1 BGB) und der Unternehmer den Verbraucher ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht und eine etwaige Wertersatzpflicht informiert hat (§ 357 Abs. 8 Satz 2 BGB). Außerdem muss der Verbraucher sein Leistungsverlangen dem Unternehmer auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt haben (§ 357 Abs. 8 Satz 3 BGB). An diesen für einen Wertersatzanspruch der Beklagten erforderlichen Voraussetzungen fehlte es hier sämtlich, so dass der Beklagte als Ergebnis seines Widerspruchs befugt war, die Mietsache - abhängig vom Zeitpunkt seines Widerrufs - bis zu 13 Monaten kostenfrei zu nutzen (allg. Auffassung, vgl. nur Bub, in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 5. Aufl. 2019, Rz. 876.1 m.w.N.; Rolfs/Möller, NJW 2017, 3275, 3277).
Auf einen wie auch immer gearteten Ersatzanspruch neben den §§ 355 ff. BGB kann sich die Beklagte ebenfalls nicht berufen, da ausweislich der eindeutigen und deshalb auch nicht auslegungsfähigen Regelung des § 361 Abs. 1 BGB über die §§ 355 ff. BGB hinaus keine weiteren Ansprüche des Unternehmers gegen den Verbraucher infolge des Widerrufs bestehen (vgl. Bub, a.a.O.; Rolfs/Möller, a.a.O.). Wegen der Eindeutigkeit und Ausdrücklichkeit der getroffenen gesetzgeberischen Wertung ist weder Raum für die vom Amtsgericht zu Gunsten der Beklagten gebildete Analogie noch für eine teleologische Reduktion der gesetzlichen Widerrufsvorschriften, die der VIII. Zivilsenat des BGH für den Widerruf einer nach § 558b Abs. 1 BGB abgegebenen Erklärung des Mieters noch vorgenommen hatte (vgl. BGH Urt. v. 17. Oktober 2018 - VIII ZR 94/17, WuM 2018, 765, beckonline Tz. 39 f.).
Davon ausgehend hat die Beklagte dem Kläger - unter Einschluss des erstinstanzlichen Verurteilungsbetrages - gemäß §§ 355 Abs. 3 Satz 1 BGB i.V.m. § 357 Abs. 1 BGB die im Zeitraum 1. Februar 2019 bis 16. Januar 2020 geleisteten Mietzahlungen in Höhe von 10.365,09 EUR zurückzuerstatten. Keinen Erstattungsanspruch hingegen hat der Kläger für die auf den Zeitraum vom 17. Januar 2020 bis 31. Januar 2020 geleisteten Mietzahlungen (§ 242 BGB, dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est). Er hätte von der Beklagten insoweit empfangene Leistungen sofort zurückzuerstatten. Denn der Beklagten steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch in nämlicher Höhe auf Zahlung anteiligen Nutzungs- und Wertersatzes wegen verspäteter Rückgabe der Mietsache nach Ausspruch des Widerrufs gem. §§ 987 ff. BGB in Höhe der vom Amtsgericht beanstandungsfrei auf den Betrag der vereinbarten Miete geschätzten Marktmiete zu (vgl. Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Aufl. 2019, vor § 535 Rz. 87; Bub, a.a.O., Tz. 875).
Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 280 ff. BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 92 Abs. 1, 91a Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Soweit die Parteien den Rechtsstreit erstinstanzlich hinsichtlich der widerklagend erhobenen Räumungsklage für erledigt erklärt haben, waren die Kosten gemäß § 91a Abs. 1 ZPO insoweit dem Kläger aufzuerlegen, da der Räumungs- und Herausgabeanspruch aus den zutreffenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung, auf die die Kammer Bezug nimmt und der insoweit nichts hinzuzufügen ist, bis zu seiner Erfüllung durch den Kläger begründet war.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 711 ZPO.
Die Kammer hat die Revision im Umfang der zweitinstanzlichen Abänderung und Klagestattgabe gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, da es bislang höchstrichterlich ungeklärt ist, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen der Mieter in Fällen fehlender Widerrufsbelehrung für den Zeitraum bis zum wirksamen Widerruf des Mietvertrages Wert- oder Nutzungsersatz für die Ingebrauchnahme der Mietsache an den Vermieter zu leisten hat. Soweit die Kammer die Berufung zurückgewiesen hat, war die Zulassung der Revision nicht veranlasst.