Finkenzeller

Bagatellgrenze für Gutachten bei 700€

Verkehrsrecht Schadensrecht
01.11.2021
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AG Berlin-Mitte, Urteil vom 30.03.2012, Az. 114 C 3434/11

Leitsätze

1. Die Bagatellgrenze ist bei 700€ zu ziehen. Diese Grenze ist nicht starr.

2. Für die Beurteilung, ob ein Geschädigter die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte, ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen.

3. Die Erholung eines Gutachtens kann immer dann geboten sein, wenn eine Wertminderung in Betracht kommt (hier: bei 2 Monate altem Fahrzeug).

Verkehrssituation Vorfahrt

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 268,11 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17. September 2010 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 29,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11. Januar 2012 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Auf die Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 313 a, 495 a ZPO verzichtet.

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Erstattung der anlässlich des Verkehrsunfalls vom 12. Juli 2008 angefallenen Gutachterkosten in Höhe von netto 268,11 €, §§ 7, 17 StVG; 823, 249 BGB; 6 AuslPflVG in Verbindung mit 115 VVG.

Der Beklagte haftet dem Grunde nach unbestritten für den durch den genannten Verkehrsunfall entstandenen Schaden in vollem Umfang.

Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 2004 – VI ZR 365/03; zitiert nach juris).

Das Gericht geht regelmäßig von einer so genannten Bagatellschadensgrenze im Bereich von Reparaturkosten in Höhe von 700,00 € aus. Diese Grenze ist nicht starr zu sehen. Vielmehr ist für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der Begutachtung auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen, so dass es darauf ankommt, ob ein verständiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte (vgl. BGH, a.a.O).

Zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters war für die Klägerin die Schadenshöhe gerade nicht bekannt. Ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens vom 22. Juli 2008 wurden die Nettoreparaturkosten auf 869,63 € kalkuliert. Das Klägerfahrzeug wurde repariert, die tatsächlichen Reparaturkosten beliefen sich gemäß Rechnung vom 31. Juli 2008 auf 784,64 €. Die Rechnung beinhaltete allerdings einen Preisnachlass in Höhe von 33,15 €, so dass sich bei Außerachtlassung des Nachlasses Reparaturkosten in Höhe von 817,79 € ergeben würden. Festzustellen ist, dass sowohl die Werte des Schadensgutachtens als auch diejenigen der Reparaturrechnung deutlich oberhalb einer Bagatellschadensgrenze von 700,00 € liegen. Ohne Hinzutreten weiterer Umstände ist daher ohne Weiteres davon auszugehen, dass die Klägerin berechtigt war, für die Schadensfeststellung ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Derartige Umstände, aufgrund derer die Klägerin im Rahmen ihrer Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB verpflichtet gewesen wäre, von der Gutachteneinholung Abstand zu nehmen, sind für das Gericht nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Das Klägerfahrzeug war im Unfallzeitpunkt noch nicht einmal 2 Monate alt. Es ist ohne Weiteres nachvollziehbar, dass hier im Hinblick auf eine etwaig in Betracht kommende Wertminderung ein Gutachten eingeholt wurde, auch wenn das Schadensbild sich nicht als optisch übermäßig groß darstellte. Bei einem Anstoß gegen die Stoßstange wie hier können im Übrigen auch weitere, nicht sichtbare Teile beschädigt werden. Soweit der Beklagte einwendet, auch das eingeholte Gutachten sei nicht geeignet gewesen, abzuklären, ob unter der Heckstoßfängerverkleidung liegende Fahrzeugteile beschädigt worden seien oder nicht, kann dies dahinstehen. Es geht vorliegend nicht um die Qualität des Gutachtens -der Sachverständige ist auch nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten-, sondern um die Berechtigung der Klägerin, überhaupt ein Gutachten erstellen zu lassen. Diese Berechtigung entfällt auch nicht deshalb, weil das Fahrzeug im Nachgang tatsächlich repariert wurde. Auch die Schadensfeststellungskosten sind ersatzpflichtig.

Die Höhe der Sachverständigenkosten ist ebenso unbestritten wie die klägerseits vorgenommene Berechnung der weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 29,10 €. Die in der Klageschrift vorgenommene Berechnung ist auch schlüssig.

Der Zinsanspruch ist begründet gemäß §§ 286, 288, 247 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Die Berufung wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 511 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 ZPO nicht vorliegen. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung, noch ist eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Zusammenfassung:
Ob für den Geschädigten das Überschreiten der Bagatellgrenze (hier: 700€) erkennbar war, ist aus dessen Sicht zum Zeitpunkt der Beauftragung zu beurteilen
Rechtsgebiete:
Verkehrsrecht Schadensrecht
Stichworte:
Gericht:
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