Finkenzeller

Mithaftung des Linksabbiegers

Verkehrsrecht
14.02.2025
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LG Ingolstadt, Urteil vom 19.09.2024, Az. 73 O 575/24 V

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist für die Beklagten hinsichtlich der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall.

Am 09.11.2023 fuhr der Kläger auf der Staatsstraße ..., Gemeindegebiet W, mit dem Pkw Ford Moneo Turnier, um nach links Richtung W abzubiegen. Der Beklagte zu 1) befuhr die Straße in dieselbe Richtung mit dem Pkw Audi RS 3, dessen Halter die Beklagte zu 2) und das bei der Beklagten zu 3) zum Unfallzeitpunkt haftpflichtversichert war. Der Beklagte zu 1) wollte den Kläger überholen, hierbei kam es zur Kollision. Dem Kläger entstanden unfallbedingt Sachverständigengebühren in Höhe von 1.749,17 € und eine Unkostenpauschale von 30 €. Der Kläger machte außergerichtlich einen Gesamtschaden von 13.770,86 € bis spätestens 28.11.2023 geltend. Die Beklagtenpartei regulierte vorgerichtlich mit Schreiben vom 30.11.2023 5.191,13 € auf die Hauptforderung und 627,13 € auf die vorgerichtlichen Anwaltsgebühren und wies eine weitere Haftung zurück.

Die Klagepartei behauptet, der Unfall sei für den Kläger unvermeidbar gewesen. Der Kläger habe etwa 150 Meter vor der Abbiegung nach W den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt sich durch Blick in den Innen- und Außenspiegel vergewissert, dass ein ungehindertes Abbiegen möglich sei. Ein hinter ihm fahrendes Fahrzeug habe die Geschwindigkeit ebenfalls verringert, weil es aufgrund des deutlichen Fahrverhaltens des Klägers erkannt habe, dass dieser abbiegen wolle. Als der Abbiegevorgang bereits zu 2/3 beendet gewesen sei, sei ihm der Beklagte zu 1) hinten links seitlich hineingefahren, er habe ihn quasi ungebremst „abgeschossen“. Dem Kläger seien unfallbedingt Nettoreparaturkosten in Höhe von 11.491,69 € sowie eine merkantile Wertminderung von 500 € entstanden.

Die Klagepartei meint, der Kläger hafte nicht, weil er seinen Rückschaupflichten Genüge getan habe.

Die Klagepartei beantragt zuletzt:
  • Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger € 8.579,73 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.11.2023 sowie Anwaltsgebühren in Höhe € 507,42 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klageerhebung zu bezahlen.
Die Beklagten beantragen,
  • Klageabweisung.

Die Beklagtenpartei behauptet, es seien lediglich Reparaturkosten von netto 8.353,08 € erforderlich, der Kläger müsse sich auf die ca. 23 km entfernte Werkstatt H verweisen lassen. Die Wertminderung betrage lediglich 250 €. Der Kläger sei deutlich langsamer als die erlaubten 100 km/h gefahren, der Kläger habe nicht geblinkt, auch nicht links. Der Beklagte zu 1) habe daher den Überholvorgang begonnen, während des Überholvorgangs habe der Kläger plötzlich abgebremst und sei nach links abgebogen. Der Unfall sei für den Beklagten zu 1) ab dem Zeitpunkt der Erkennbarkeit des Abbiegemanövers des Klägers räumlich und zeitlich unvermeidbar gewesen.

Die Beklagtenpartei meint, es sei bereits überobligatorisch reguliert worden. Gegen den Kläger spreche der Beweis des ersten Anscheins. Der Abbieger hafte regelmäßig alleine, wenn er seine Abbiegeabsicht nicht rechtzeitig anzeige, die Betriebsgefahr trete dann vollständig zurück.

Das Gericht hat am 01.08.2024 mündlich verhandelt und Beweis erhoben durch die Einvernahme der Zeugin K sowie durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen K, diesbezüglich wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf weitere Zahlung aus §§ 7,17,18 StVG, 115 VVG, weil seine Ansprüche vorgerichtlich bereits beglichen wurden.

1.

Der Kläger gab an, er habe schon ca. 200 Meter vor dem Abbiegevorgang den Blinker gesetzt. Er habe seine Geschwindigkeit dann auch reduziert. Er habe immer wieder in den Spiegel geschaut vor dem Abbiegen, Innen- und Außenspiegel, er habe den Beklagten nicht gesehen. Auf Frage nach dem Schulterblick antwortete der Kläger zunächst pauschal dahingehend, dass er geschaut und den anderen nicht gesehen habe, auf nochmalige Nachfrage bejahte er. Er sei auf der Landstraße nicht schneller als 80 km/h gefahren.

Der Beklagte zu 1) gab an, er sei mit 100 bis 105 km/h unterwegs gewesen. Er sei relativ schnell auf die beiden Fahrzeuge aufgeschlossen. Als er ausgeschert sei, habe er bei dem klägerischen Pkw keinen Blinker vernommen. Als der Kläger dann abrupt langsamer geworden und abgebogen sei,sei er in die Eisen gestiegen und habe ihn mit 30 - 40 km/h erwischt. Er sei nicht lange hinter den beiden Pkws hergefahren, es sei ein flüssiger Überholvorgang gewesen. Ob sich am Fahrverhalten des Klägers während seines Überholvorgangs etwas geändert habe, dazu könne er nichts sagen. Er habe nichts wahrgenommen.

Die unbeteiligte Zeugin K gab an, der Kläger sei langsamer geworden und habe geblinkt. Sie habe gedacht, er will wahrscheinlich abbiegen. Sie habe hinter sich ein Fahrzeug gesehen, das zuerst auch langsamer geworden sei, dann habe es doch überholt. Sie habe sich gedacht, das wird eng, dann habe es schon gescheppert. Der Kläger habe geblinkt, als er langsamer geworden sei. Er habe deutlich kommuniziert, dass er etwas machen wolle.

Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass der Kläger sein Abbiegemanöver tatsächlich rechtzeitig ankündigte. Die Zeugin K konnte insoweit keine Entfernungen schätzen, gab jedoch an, sie habe sich gut auf das Abbiegemanöver einstellen können. An der Glaubhaftigkeit der Angaben und der Glaubwürdigkeit der Zeugin bestehen keine Zweifel.

Der Sachverständige K stellte nachvollziehbar und plausibel fest, dass die Kollisionsgeschwindigkeiten für das klägerische Fahrzeug in einem Bereich von 20 bis 25 km/h eingegrenzt werden konnten, auf Seiten des Beklagtenfahrzeugs etwa 38 bis 43 km/h. Im Hinblick auf das Abbiegemanöver des Klägers könne eine Abbiegewegstrecke von 8,5 bis 9,5 Meter rekonstruiert werden, abhängig vom konkreten Abbiegebogen. Ausgehend von der Kollisionsgeschwindigkeit errechne sich für die Zeitspanne, die das Klägerfahrzeug ausgehend von einer Position innerhalb der rechten Fahrspur - geradeaus gerichtet - bis zur Schrägstellung in der Kollisionsposition ca. 1,2 bis 1,71 Sekunden. Der Beklagte zu 1) sei im Vergleich dazu bereits zeitlich länger vorversetzt auf der linken Fahrspur gewesen, je nach Ansatz von Abständen und Geschwindigkeiten mindestens 6,6 bis ca. 82, Sekunden. Der Beklagte zu 1) sei daher für den Kläger bei Beachtung der Rückschaupflichten erkennbar gewesen, der Unfall daher für den Kläger durch Zurückstellen des Abbiegevorgangs vermeidbar. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung des Beklagten zu 1) konnte der Sachverständige nicht feststellen.

Bezüglich der Vermeidbarkeit des Beklagten sei der Unfall dann nicht mehr vermeidbar, wenn man als Reaktionsaufforderung nur und erst den Abbiegevorgang, also das tatsächliche Durchführen des Abbiegevorgangs verstehe, weil dann keine ausreichende Reaktionszeit mehr zur Verfügung stehe (Bl. 43). Sofern davon ausgegangen werde, dass der Beklagte zu 1) auch bereits früher auf ein Blinken des klägerischen Fahrzeugs reagieren habe können, sei eine Vermeidbarkeit gegeben. Anhand der Reifenspuren sei von einer vorkollisionären Bremsung des Beklagtenfahrzeugs auszugehen.

Damit steht fest, dass der Unfall für keinen Beteiligten vermeidbar war.

2.

Die Abwägung im Rahmen der §§ 7,17 StVG ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen (vgl. BGH VersR 2005, 954, 956) Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (vgl. BGH NJW-RR 2010, 839-842). Darüber hinaus muss ermittelt werden, inwieweit und in welcher Höhe ggf. noch die Betriebsgefahr eines jeden Fahrzeugs, vgl. § 7 I StVG, mit in die Abwägung einzustellen ist. Nach der Grundentscheidung des Gesetzgebers in § 7 I StVG ist diese im Regelfall mit zu berücksichtigen. Nur ausnahmsweise kann diese gem. §§ 7 II, 17 III StVG entfallen.

Der Kläger hat nachweislich gegen seine Rückschaupflichten als Linksabbieger verstoßen. Die doppelte Rückschaupflicht besteht rechtzeitig vor dem Einordnen und erneut vor dem Abbiegen (BeckOK StVR/Grabow StVO § 9 Rn. 23-26). Gem. § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO hat der Abbieger vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr zu achten. Er darf erst abbiegen, wenn er sich die Gewissheit verschafft hat, dass der nachfolgende Verkehr nicht gefährdet wird (Hentschel/König/Dauer/König StVO § 9 Rn. 29). Dies hat der Kläger nachweislich nicht getan, insoweit stellte der Sachverständige fest, dass der Beklagte zu 1) über den linken Außenspiegel, ggf. auch durch den Schulterblick zu erkennen gewesen sei. Der Kläger hat damit jedenfalls gegen seine Pflicht zur zweiten Rückschau verstoßen.

Der Beklagte zu 1) hat nachweislich gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO verstoßen. Die Zeugin K gab an, es sei klar erkennbar gewesen, dass der Kläger überholen habe wollen, insbesondere sei auch der Blinker gesetzt gewesen, als der Kläger langsamer wurde. Mithin lag eine unklare Verkehrslage vor, weil der Beklagte zu 1) unter diesen Umständen nicht mit der gefahrlosen Durchführung eines Überholvorgangs rechnen konnte (OLG München, Urteil vom 21. Oktober 2020 - 10 U 893/20 -, juris Rn. 13 m.w.N.). Daraus, dass der Beklagte zu 1) zwei Fahrzeuge auf einmal überholen wollte, ist vorliegend nicht auf eine Erhöhung der Haftung oder eine erhöhte Betriebsgefahr zu schließen, insoweit handelt es sich noch nicht um mehrere Fahrzeuge, sondern „nur“ um zwei, dass insbesondere diese Situation mitursächlich wurde, ist nicht erwiesen. Sonstige Verkehrsverstöße sind dem Beklagten zu 1) nicht nachweisbar.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist eine Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zum Nachteil des Klägers angemessen (KG Berlin, Urteil vom 16. November 1989 - 12 U 6790/88 -, juris).

3.

Bezüglich der Wertminderung stellte der Sachverständige einen Betrag in Höhe von 300 € fest.

Bezüglich der Höhe der erforderlichen Reparaturkosten stellte der Sachverständige nachvollziehbar einen Betrag in Höhe von 12.085,27 € netto fest bei Zugrundelegung der aktuellen Stundensätze der markengebundenen Fachwerkstatt Fa. B, deren Stundensätze dem klägerischen Gutachten zugrunde gelegt waren. Bzgl. der Verweisungswerkstätte der Beklagten eruierte der Sachverständige Reparaturkosten von 9.322,05 €. Nach den Feststellungen des Sachverständigen ist in der Werkstatt H ein Kfz-Technikermeister und ein Kfz-Mechanikermeister, so dass das vorliegende Schadensbild aus technischer Sicht grundsätzlich entsprechend repariert werden könne (Bl. 48 d.Akte). Die Werkstatt ist ein autorisierter Ford-Service-Betrieb, so dass das Gericht auch ohne weitere detaillierte Beweiserhebung hierzu davon überzeugt ist, dass diese die Anforderungen an einen Referenzbetrieb erfüllt. Die Klagepartei hat keine fahrzeugbezogenen Gesichtspunkte vorgetragen, weshalb die Verweisung unzumutbar sein soll; unter Berücksichtigung der Entfernung von 23 km zum Wohnort des Klägers kommt eine Unzumutbarkeit der Verweisung in Betracht (OLG München Endurteil vom 21.9.2022 - 10 U 5397/21e = BeckRS2022, 25601). Im Ergebnis kann dies jedoch dahinstehen, weil in beiden Fällen kein weitergehender Anspruch der Klagepartei besteht (s.u.).

Unstrittig sind die Sachverständigengebühren von 1.749,17 € sowie eine Unkostenpauschale von 30 €.

Bei Zugrundelegung der Stundenverrechnungssätze der Firma B und damit Reparaturkosten von 12.085,27 € besteht daher ein Gesamtschaden von 14.164,44 €.

1/3 hiervon beträgt 4.721,48 €. Die Beklagte zu 2) hat außergerichtlich bereits 5.191,13 € beglichen, die Klagepartei hat daher keinen weitergehenden Anspruch. Mithin kann dahinstehen, ob die von der Beklagtenpartei ausgesprochene Verweisung wirksam war.

4.

Aus einem Gegenstandswert von 4.249,33 € ergeben sich vorgerichtliche Anwaltskosten von 540,50 €. Die Beklagte zu 2) hat außergerichtlich Anwaltskosten von 627,13 € reguliert. Ein weitergehender Anspruch besteht daher nicht.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1, 2 ZPO.

Zusammenfassung:
Bei Verstoß gegen die doppelte Rückschaupflicht ist dem Linksabbieger eine Mithaftung von 2/3 anzulasten.
Rechtsgebiete:
Verkehrsrecht
Stichworte:
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