1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Zuständigkeit ist der Zeitpunkt des Eingangs der Akten beim Streitgericht.*
2. Besteht bei Eingang der Akten am Streitgericht ein Wahlrecht zwischen mehreren Gerichtsständen, welches bei Stellung des Mahnantrags noch nicht bestand (hier: aufgrund Umzug des Beklagten), so kann der Kläger unabhängig vom im Mahnantrag benannten Prozessgericht dieses Wahlrecht ausüben.*
Das Amtsgericht in B wird gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als das zuständige Gericht bestimmt.
Gründe:
Der Kläger verlangt vom Beklagten die Bezahlung von Prämien für eine Kraftfahrzeugversicherung. Im Mahnbescheidsantrag gab er als Prozessgericht das Amtsgericht G an, in dessen Bezirk der damalige Wohnsitz des Beklagten (... F.) lag, an dem auch die Zustellung des Mahnbescheids am 16.4.03 erfolgte. Als nach Abgabe der Akten an das Amtsgericht G (Eingang dort: 3.3.04) die Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens nebst Klagebegründung nicht zugestellt werden konnte, weil der Beklagte zwischenzeitlich, nämlich am 1.8.2003, nach B verzogen war, beantragte der Kläger auf entsprechenden Hinweis des Amtsgerichts G die Verweisung 'an das örtlich zuständige Amtsgericht B'. Das Amtsgericht G gab die Sache an das Amtsgericht B ab, welches sich mit Beschluss vom 28.9.04 für unzuständig erklärte und auf einen Hilfsantrag des Klägers die Sache an das Amtsgericht G verwies. Dieses hat die Sache dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
Auf die zulässige Vorlage ist das Amtsgericht B als zuständiges Gericht zu bestimmen. Als Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes (§§ 12, 13 ZPO) ist das Amtsgericht B für die Klage zuständig. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der (hier: örtlichen) Zuständigkeit ist der Zeitpunkt des Eingangs der Akten (§ 696 Absatz 1 Satz 4 ZPO) bei dem Streitgericht (Zöller-Vollkommer, Zivilprozessordnung, 25. Auflage, Randnummern 5 und 7 zu § 696; Zöller-Herget aaO Rdnr. 3 zu § 4; Zöller-Greger aaO Rdnr. 2 zu § 261; BayObLG, NJW-RR 1995, 635 und Senat, Beschluss vom 22.5.02, 21 AR 104/01 zur örtlichen sowie OLG Frankfurt NJW-RR 1992, 1341, 1995, 831 und 1996, 1403 zur sachlichen Zuständigkeit). Eine danach eingetretene Änderung des Wohnsitzes hat gemäß § 261 Absatz 3 Nr. 2 ZPO keinen Einfluss mehr auf die (örtliche) Zuständigkeit.
Durch den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts B vom 28.9.04 ist das Amtsgericht G nicht zuständig geworden. Zwar sind Verweisungsbeschlüsse gemäß § 281 Absatz 2 Satz 4 ZPO bindend. Die Bindungswirkung setzt sich im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren fort und kommt auch fehlerhaften Verweisungsbeschlüssen zu, denn sie soll gewährleisten, dass Streitigkeiten über die Zuständigkeit der Gerichte vermieden bzw. bald beendet werden und dass es möglichst rasch zu einer Sachentscheidung kommt. Die Bindungswirkung entfällt jedoch, wenn die Verweisung auf der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs der Parteien beruht oder einer rechtlichen Grundlage entbehrt und sich daher als objektiv willkürlich erweist.
Das Amtsgericht B stützt seinen Verweisungsantrag darauf, dass der Kläger im Mahnbescheidsantrag das Amtsgericht G bindend gewählt habe und dass 'Veränderungen nach dem Zeitpunkt, in dem das Wahlrecht grundsätzlich ausgeübt werden muss (Klageerhebung oder Mahnbescheidsantrag)', nicht beachtlich seien. Dabei hat das Amtsgericht B übersehen, dass in der Angabe des Amtsgerichts G im Mahnbescheidsantrag nicht die Ausübung des Wahlrechts nach § 35 ZPO gesehen werden kann, weil - wie das Amtsgericht B in anderem Zusammenhang zutreffend ausführt - nach der genannten Vorschrift eine Wahlmöglichkeit nur unter mehreren zuständigen Gerichten besteht, zum damaligen Zeitpunkt aber nur ein Gericht, nämlich das Amtsgericht G, als Gericht sowohl des allgemeinen Gerichtsstandes als auch des Gerichtsstands des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) in Betracht kam. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger mit der Bezeichnung des Amtsgerichts G als Streitgericht im Mahnbescheidsantrag dieses Gericht ausschließlich als Wohnsitzgericht des Beklagten oder ausschließlich als Gericht des Erfüllungsortes habe in Anspruch nehmen wollen, sind nicht ersichtlich.
Durch die gemäß § 690 Absatz 1 Nr. 5 ZPO gebotene Bezeichnung eines zuständigen Gerichts als Streitgericht im Mahnbescheidsantrag ist vorliegend die Möglichkeit der Wahl zwischen mehreren zuständigen Gerichten für die Klägerin nicht entfallen. Der Vorschrift des § 35 ZPO ist nicht zu entnehmen, dass ein Wahlrecht nur im Zeitpunkt der Einreichung des Mahnbescheidsantrags gegeben oder beachtlich sein soll. Im Falle einer Klage kann das Wahlrecht nach allgemeiner Meinung bis zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit, also bis zur Zustellung der Klageschrift (§§ 261 Absatz 1, 253 Absatz 1 ZPO) ausgeübt werden (Zöller-Vollkommer, Zivilprozessordnung, 25. Auflage und Thomas-Putzo, Zivilprozessordnung, 26. Auflage, jeweils Randnummer 2 zu § 35 m.w.N.). Für den durch ein Mahnverfahren eingeleiteten Rechtsstreit kann nichts anderes gelten. Das Mahnverfahren hat nicht den Zweck, das ansonsten gegebene Wahlrecht nach § 35 ZPO auszuschließen (OLG Celle NdsRPfl 1993, 359 und für den Rechtszustand vor dem 1.1.92: BGH NJW 1979, 984 = MDR 1979, 556 = RPfleger 1979, 195 sowie OLG Hamm AnwBl 1982, 78). Zwar ist im Falle eines Mahnverfahrens in der Bezeichnung des Streitgerichts im Mahnbescheidsantrag die Ausübung des durch § 35 ZPO gegebenen Wahlrechts zu sehen. Dies setzt aber voraus, dass in diesem Zeitpunkt ein Wahlrecht wirklich besteht (vgl. OLG Celle aaO). In diesen Fällen erlischt das Wahlrecht mit der Zustellung des Mahnbescheids (Zöller-Vollkommer a.a.O. Randnummern 16 zu § 690 und 9 zu § 696 ZPO; so auch die Begründung der Gesetzesänderung zu § 690 Absatz 1 Nr. 5 in Bundestagsdrucksache 11/3621, Seite 47). In den in diesem Zusammenhang von der Kommentarliteratur herangezogenen Gerichtsentscheidungen ist aber regelmäßig die Wahl zwischen mehreren Gerichten bereits im Zeitpunkt des Mahnbescheidsantrags gegeben (Zöller-Vollkommer a.a.O.: BGH NJW 1993, 1273; 1997, 1154; 2002, 3634; BayObLG Rechtspfleger 1993, 411; 2003, 139 und BayObLGZ 2003, 187). Ein Wahlrecht kann jedoch auch erst nach Beantragung des Mahnbescheids und - wie vorliegend - noch nach dessen Zustellung entstehen (vgl. BayObLG MDR 1995, 312 = NJW-RR 1995, 635). Mindestens im letzteren Fall kann es nicht durch die vorherige Mahnbescheidszustellung bereits erloschen sein. Es besteht dann - wie allgemein - bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit, wobei in diesem Zusammenhang anders als bei den sonstigen, für die gerichtliche Zuständigkeit maßgeblichen Umständen nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs der Akten beim Streitgericht (s.o.), sondern auf den Zeitpunkt der Zustellung der Klagebegründung abzustellen ist. Wenn in Fällen wie dem vorliegenden das Wahlrecht erst nach Zustellung des Mahnbescheids durch Wohnsitzwechsel des Schuldners/Beklagten entsteht, erfährt der Kläger hiervon typischerweise erst durch die Mitteilung des Streitgerichts, dass die Zustellung der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens bzw. der Ladung zum frühen ersten Termin zusammen mit der Klagebegründung am früheren Wohnsitz fehlgeschlagen sei. Ließe man nun die Ausübung des Wahlrechts mit der Begründung nicht mehr zu, dass der entscheidende Zeitpunkt des Eingangs der Akten bei dem als Streitgericht bezeichneten Gericht bereits verstrichen ist, würde damit das Wahlrecht regelmäßig ins Leere laufen. Dies würde außerdem eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung desjenigen Klägers bedeuten, der den Weg über das Mahnverfahren statt einer sofortigen Klageerhebung wählt (OLG Köln MDR 1980, 763). Demzufolge muss, wenn im Falle eines vorgeschalteten Mahnverfahrens das Wahlrecht nach § 35 ZPO erst nach Zustellung des Mahnbescheids entsteht, dem Kläger bis zur Zustellung der Klagebegründung die Möglichkeit gegeben wehren, von dem Wahlrecht Gebrauch zu machen.
Das Amtsgericht B hat, obwohl es sich in der Begründung des Verweisungsbeschlusses mit Fragen der Ausübung des Wahlrechts nach § 35 ZPO befasst hat, unbeachtet gelassen, dass, nachdem durch den Umzug des Beklagten Erfüllungsort und Wohnsitz auseinander gefallen waren, der Kläger durch den Verweisungsantrag vom 19.5.04 sein Wahlrecht ausgeübt und B als das Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes gewählt hat. Dabei es hat es dem Kläger ein Wahlrecht insgesamt abgesprochen und ist dabei nicht in angemessener Weise auf dessen Argumentation im Schriftsatz vom 1.9.04 (Blatt 34 d.A.) eingegangen. Das Amtsgericht B hat somit als nach geltendem Recht zuständiges Gericht gleichwohl den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen und damit objektiv den Anschein erweckt, es habe sich darüber hinweggesetzt, dass die Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Absatz 1 ZPO die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichts voraussetzt (vgl. BayObLGR 2000, 56). Dies muss als objektiv willkürlich angesehen werden.